Sinnerfüllung als zwischenmenschliche Anziehungskraft?

Stillman, T. F., Lambert, N. M., Fincham, F. D. & Baumeister, R. F. (2011). Meaning as Magnetic Force: Evidence That Meaning in Life Promotes Interpersonal Appeal. Social Psychological and Personality Science, 2 (1), 13-20.

Hat die Suche nach dem Lebenssinn Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen? Sind sinnerfüllte Menschen anziehendere Gesprächs- und Handlungspartner?

Diese Fragen stellten sich die Autoren in ihren beiden Studien. Inspiriert dazu hat sie einerseits die Erkenntnis aus verschiedenen Untersuchungen, dass zwischenmenschliche Beziehungen Lebenssinn fördern bzw. eine wesentliche Quelle für Sinnerfüllung darstellen. Somit wäre es denkbar, dass umgekehrt auch der Lebensinn Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ausübt. Andererseits haben Menschen nach Viktor Frankl ein tief verwurzeltes Bedürfnis Sinn im Leben zu finden. Daraus könnte man ableiten, dass Personen unter Umständen eher nach Beziehungen mit sinnerfüllten Menschen streben, um dadurch zumindest teilweise ihr Bedürfnis Sinn zu finden zu befriedigen.

Studie 1

In der ersten Studie wurden die Selbsteinschätzungen von 70 Studierenden zu Lebenssinn und Selbstwert mittels zwei verschiedener Fragebögen erhoben. Zusätzlich sollten sie mit einem Freund eine fünf minütige Diskussion über ihre Beziehung führen, welche unauffällig gefilmt wurde. Die Interaktion wurde anschließend von fünf trainierten Beurteilern hinsichtlich folgender Frage eingeschätzt: Wie gern würden Sie mit dieser Person befreundet sein? (von 1 – überhaupt nicht bis 5 – sehr gern)

Ergebnis:

  • Diejenigen Studenten, die hohe Werte im Lebenssinn-Fragebogen erreichten, wurden als potentielle Freunde attraktiver eingeschätzt.
  • Die Werte des Selbstwert-Fragebogens hatten hingegen keinen Einfluss auf die zwischenmenschliche Anziehung.

Das heißt also, dass wir uns nicht unbedingt mit jenen befreunden wollen, die gut über sich selbst denken und dadurch hohen Selbstwert genießen, sondern dass vor allem sinnerfüllte Menschen anziehend auf uns wirken.

Studie 2

Da eine Reihe anderer Faktoren einen Einfluss auf die zwischenmenschliche Anziehung haben könnte, die Studierenden in der ersten Studie nur hinsichtlich einer Fragestellung beurteilt wurden und Menschen im Alltag fremde Personen innerhalb von wenigen Sekunden bewerten, die Beurteiler hier jedoch 5 Minuten Zeit hatten, führten die Autoren eine zweite Studie durch.

In dieser Untersuchung sollten sich 72 Studierende hinsichtlich Lebenssinn, Religiosität, Glück und Extravertiertheit in den jeweiligen Fragebögen selbst einschätzen. Anschließend wurden sie gebeten, sich 10 Sekunden lang vor laufender Kamera selbst vorzustellen (Name, Hobbys,…). Elf trainierte Beurteiler bewerteten (von 1 – überhaupt nicht bis 7 – sehr) die Selbstvorstellungen hinsichtlich 4 Dimensionen:

  1. Wie sympathisch ist die Person?
  2. Wie gern würden Sie mit der Person befreundet sein?
  3. Wie sehr würden Sie eine Unterhaltung mit der Person genießen?
  4. Wie sinnerfüllt, glauben Sie, ist das Leben der Person?

Zusätzlich wurden vier andere Beurteiler gebeten, die körperliche Attraktivität der Studienteilnehmer einzuschätzen (von 1 – überhaupt nicht attraktiv bis 7 – extrem attraktiv).

Ergebnis:

    • Teilnehmer, die höhere Werte im Lebenssinn-Fragebogen aufwiesen, wurden als sympathischer beurteilt sowie als Freunde und Gesprächspartner bevorzugt. Höhere Ausprägung der Sinnerfüllung hing mit höherer zwischenmenschlicher Anziehung zusammen. ABER:
      • Diesen Zusammenhang konnte man nur bei Studierenden mit geringer oder mittlerer Attraktivität feststellen. Bei sehr attraktiven Teilnehmern hatte die Sinnerfüllung keinen Effekt auf die zwischenmenschliche Anziehung.
      • Mögliche Erklärung: Da attraktive Personen bereits sehr anziehend sind, steigert die Sinnerfüllung diese Anziehung nicht zusätzlich.
    • Die Selbsteinschätzungen von Glück und Religiosität zeigten keinen Zusammenhang, aber Extravertiertheit wies einen positiven Zusammenhang mit zwischenmenschlicher Anziehung auf.
    • Körperliche Attraktivität hatte die größte Vorhersagekraft für zwischenmenschliche Anziehung, d.h. körperlich attraktive Menschen werden generell anziehender wahrgenommen.

Ein sinnerfülltes Leben hat also nicht nur Auswirkungen auf uns selbst, sondern hilft uns auch, neue Bekanntschaften zu schließen. Somit stellt sich für mich die Frage, ob nicht für viele von Schönheitsidealen geplagten Menschen die Sinnsuche eine befriedigendere Alternative zur vergänglichen Unterstützung der plastischen Chirurgie wäre.

Zusammengefasst von Melanie Oberleitner

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