Selber Fisch – andere Glaubensprozesse?

F:  An was glaubst du?

A: An was ich glaube? Ich bin nicht religiös.

F:  Und ansonsten?

A: Wie ansonsten? Ich glaube nicht an Gott.

F: Das hab ich dich ja auch nicht gefragt. Ich gebe dir ein Beispiel: Vorher musste ich an meine Freundin denken. Ich glaube daran, dass sie mich liebt.

A: Ach so, du meinst dieses Glauben, das man sagt, weil man etwas nicht wirklich wissen kann, oder auch weil man sich wie die Politiker fürchtet beim Wort genommen zu werden.

F: Eigentlich meine ich alles, was mit Glauben oder Überzeugtsein zu tun hat.

A: Aber das sind doch verschiedene Paar Stiefel!

F: Wo liegt denn deiner Meinung nach der Unterschied?

A: Naja, das eine hat mit Religion, Gott, Heiligen und solch abstrakten Dingen zu tun…

F: Und das andere?

A: … Hm? Naja, mit Weltlichem. Aber ich verstehe, was du meinst. In allen Fällen ist man sich irgendwie nicht so sicher, ob das, an was man glaubt, passieren wird oder gar existiert. Was glaubst du denn, worin der Unterschied zwischen allgemeinen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen liegt?

F: Ganz klar im Inhalt. Viel spannender ist jedoch die Frage nach deren Gemeinsamkeit.

A: Und die wäre?

F: Ich glaube, dass sich die dabei ablaufenden Glaubensprozesse in ihrer Funktion recht ähnlich sind.

A: Was meinst du denn mit Glaubensprozessen?

F: Naja, alle reden immer nur von dem, an was die Leute glauben und an was nicht. An Gott, Wunder, Gerechtigkeit, Verschwörungen usw. … . Das ist Glaubensinhalt. Aber niemand fragt, was eigentlich in einem vorgeht, während man glaubt?

A: Aber das ist doch ziemlich einfach?

F:  Wirklich?

A: Im Endeffekt fangen Menschen doch immer dann an zu glauben, wenn sie nicht mehr weiter wissen und kurz davor sind aufzugeben.

F:  Das wäre eine Funktion des Glaubens. Aber was steckt dahinter?

A: Vielleicht beginnt man bei aufkommenden Zweifeln zu glauben, weil man nichts tun kann, um sie auszuräumen. Ich verstehe ja, wenn sich Leute an Gott wenden, um daraus irgendwie Hoffnung und Mut zu schöpfen und damit versuchen ihre Angst zu kontrollieren. Aber wie soll das denn mit weltlichen Überzeugungen funktionieren?

F: Man kann doch auch an den Sieg seiner Fußballmannschaft oder an steigende Aktienkurse glauben.

A: Schon, aber die sind doch nicht zwangsläufig positiv und vertrauenserweckend. Was ist mit Menschen, die an Klimawandel, Verschwörungen, Wirtschaftskrisen oder gar Kriege glauben?

F: Jetzt bist du wieder beim Inhalt. Doch bei Glaubensprozessen, die Hans-Ferdinand Angel als Creditionen[1] bezeichnet, geht es um mehr als die Abschätzung von Eintrittswahrscheinlichkeiten. Es geht darum, sein Handeln auf eine für möglich geglaubte Zukunft vorzubereiten.

A: …Und um Zuversicht, oder etwa nicht?

F: Na ja. Zumindest kann ich mein Handeln nur nach etwas ausrichten, an das ich auch glaube.

A: Aber dann kann man doch nicht an Kriege glauben! Und überhaupt, was ist mit den Sünden, die dem christlichen Glauben gar so negativ anhaften.

F: Das ist schon wieder Inhalt. Auch der Glaube an einen Krieg kann meine Handlungen im positiven Sinne beeinflussen und vorbereiten. Vielleicht beginne ich Vorräte zu sammeln, mich mit den Nachbarn zu verbünden oder schlicht mit der Flucht. Alles Dinge, die mir helfen können zu überleben, falls sich meine negative Einschätzung bewahrheitet.

A: Du sagst also, dass man glaubt, weil man irgendwie lästige Unwägbarkeiten loswerden will. Glauben bedeutet also doch die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Zuversicht. Aber wie soll das gehen?

F: Lass mich nochmal kurz festhalten, was wir bisher haben. Wir haben festgestellt, dass Creditionen mit Gefühlen – positiv wie negativ – und mit Einschätzungen oder allgemeiner mit dem Denken zusammenhängen. Glaubensinhalte haben mit Zukunftserwartungen zu tun. Es geht also darum, sich auf diese erwartete Zukunft vorzubereiten und sein Handeln danach auszurichten…

A: Willst du damit sagen, dass wir, wenn wir mit Ungewissheit konfrontiert werden, anfangen an eine bestimmte Zukunft zu glauben und so tun als würde sie real werden?

F: So wie du das sagst, hört es sich an, als wäre das falsch. Falsch wäre vom Schlimmsten auszugehen. Davon, dass man sowieso nichts mehr auszurichten imstande ist…

A: Wieso ist das das Schlimmste?

F: Wenn wir glauben, dass all unser Handeln nutzlos ist, bedeutet das meist, dass wir aufgegeben haben zu glauben. Wir resignieren und hören auf zu handeln. Nur solange ich an eine Zukunft oder mögliche Veränderung glaube, kann ich sie durch mein Handeln beeinflussen.

A: Das heißt, wer nicht glaubt, handelt nicht. Aber bedeutet das dann nicht auch, dass man eigentlich gar nicht an Sinnlosigkeit glauben kann?

F: Im ersten Punkt stimme ich dir zu. Aber auch der Glaube an die Sinnlosigkeit bereitet mein Handeln vor. In diesem Fall eben das Nicht-Handeln. Glaubensprozesse sind so etwas wie gefühlte Erkenntnisprozesse. Wenn ich das Gefühl habe, dass alles, was ich tun kann, nutzlos ist, und ich glaube, dass ich durch mein Handeln sowieso nichts mehr ausrichten kann, ist die logische Konsequenz nicht (mehr) zu handeln.

A: Wie soll man denn Erkenntnis fühlen können? Du meinst man hält etwas für wahr oder gegeben, ohne irgendwelche Belege dafür zu haben. Das wäre ja gegen jedwede wissenschaftliche Erkenntnislogik.

F: Wir sind eben keine reinen Vernunftwesen, wie wir uns das seit der Aufklärung immer wieder einreden. Wir haben Gefühle und Gedanken – Emotionen und Kognitionen – und eben auch, wie ich glaube, Creditionen, die immer dann, wenn emotionaler Stress oder negative Fakten auftauchen, darauf hinwirken unser natürliches Gleichgewicht, d.h. Sicherheit, Ausgeglichenheit, Zuversicht usw. wiederherstellen. Mich interessiert, wie das vonstatten geht bzw. welche Prozesse dabei ablaufen.

A: Du meinst also, wenn es zu Widersprüchen zwischen emotionalem Erleben, Wissen und Handeln kommt, dann springen Glaubensprozesse an. Und was machen sie genau?

F: Sie stellen subjektive (Handlungs-)Sicherheit her.

A: Wäre das Rauchen eigentlich auch so ein Widerspruch? Oder an was glauben eigentlich Raucher? Im Prinzip weiß doch jedes Kind, dass Rauchen schlecht ist für die Gesundheit. Trotzdem rauchen viele Menschen. Sind da auch Glaubensprozesse am Werk?

F: Das würde ich schon fast als eine Art Sonderfall ansehen. Obwohl ich weiß, dass Rauchen zu Atemwegsbeschwerden, geringerer Lebenserwartung oder Lungenkrebs führen kann, rauche ich trotzdem.

A: Und warum?

F: Meiner Meinung nach, weil die Leute auch wissen, dass es einige Raucher gibt, die dafür nicht zwangsweise mit gesundheitlichen Konsequenzen rechnen müssen. Diese Raucher glauben offenbar fest daran, dass sie schon einer von diesen „Glücklichen“ sein werden, die es nicht erwischt. Aufgrund ihres Wissens müssten sie eigentlich aufhören zu rauchen. Da die Sucht aber stärker ist, werden Creditionen dafür benützt oder gar missbraucht, um beruhigt weiter rauchen zu können. Übrigens ein sehr schönes Beispiel für die Macht von Creditionen! Man nennt dieses Phänomen übrigens die Auflösung kognitiver Dissonanz.

A: Was ist denn kognitive Dissonanz?

F: In der Psychologie beschreibt man damit Phänomene wie dein Beispiel mit dem Rauchen. Aufgrund unvereinbarer Kognitionen – das können Gedanken, Meinungen, Wünsche, Absichten, Einstellungen, Wahrnehmungen und wie ich glaube eben auch CREDITIONEN sein – kommt es zu negativen Gefühlen. Meiner Meinung nach ist eine Funktion von Glaubensprozessen zu verhindern, dass es überhaupt bis zur kognitiven Dissonanz kommt.

A: Du meinst also, wenn ich in einem Restaurant, in dem ich zum ersten Mal esse, einen stark riechenden Fisch bekomme und der Laden auch sonst irgendwie suspekt wirkt, werde ich – entgegen aller Versicherungen des Kellners – den Fisch zurückgehen lassen. Bekomme ich allerdings den gleichen Fisch von meiner lieben Tante Inge serviert, die erzählt, dass sie den Fisch heute frisch vom Fischhändler ihres Vertrauens gekauft hat, würde ich ihn aller Wahrscheinlichkeit ohne weitere Anstalten verputzen und dabei auch noch versuchen so auszusehen, als hätte ich noch nie solch einen guten Fisch gegessen. Quasi: Selber Fisch – andere Glaubensprozesse?

F: Genau!

 

Autor: Christoph Hörmann

[1] credere (lat.) = glauben

 

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