Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt und begleitet uns Menschen seit dem Anbeginn unserer Existenz. Vor allem wenn das Leben uns mit harten Erfahrungen konfrontiert, geraten wir leicht in einem Teufelskreis aus Verzweiflung, Angst und Hoffnungslosigkeit, und es fällt uns schwer, einen Sinn zu finden. Wie Rollo May (1958) in seinem Werk beschreibt, beschäftigen sich der Existentialismus sowie auch die Psychotherapie mit Menschen mitten in einer Krise. Meiner Ansicht nach ist es für unsere Sinnfindung wesentlich, dass wir uns genau in diesen Lebenskrisen trauen, uns mit unserer Existenz offen auseinanderzusetzen. Nur so kann aus der Krise ein Wachstum entstehen, ein Wachstum, der uns immer näher zu uns selbst und zu einem Sinn führt.
In dieser kurzen Arbeit, möchte ich mich aber vor allem der Bedeutung des Schicksals widmen. In seinem Essay “Der Existenzialismus ist ein Humanismus” beschreibt Sartre (1968) die Haltung der Existenzialisten gegenüber dem Schicksal. Er unterstreicht die ständige Möglichkeit des Menschen, seinen Zustand zu verändern, denn “es gibt immer eine Möglichkeit für den Feigling, nicht mehr feige zu sein, und für den Helden, aufzuhören, ein Held zu sein … da das Schicksal des Menschen in ihm selbst liegt.” Das mag ein innovativer Gedanke sein. In diesem Zusammenhang fällt mir meine Reise nach Indien ein, im Frühjahr 2014. Dort sammelte ich viele Eindrücke von Menschen, die Tag für Tag aufgrund von Armut und Krankheit um ihr Leben kämpfen müssen und wo der Tod allgegenwärtig ist. Trotzdem begegnete ich vielen glücklichen, ausgeglichenen, ja ich würde sagen realisierten Menschen.
Ich kam zum Schluss, dass unsere Sinnfindung unabhängig von äußeren Gegebenheiten stattfinden kann. Frankl (1978) zum Beispiel behauptet ebenfalls, dass der Mensch immer frei ist, die eigene innere Haltung zu ändern und somit “psychischen Widerstand” zu leisten, egal wie schlimm sein Zustand auch sein mag. Trotzdem beschreibt Frankl in seinem Werk das Schicksal als unabänderlich. Ich finde die Einstellung Frankls allgemein sehr positiv und kraftspendend, jedoch frage ich mich: ist das Schicksal wirklich eine so starke und starre Gegebenheit, die es hinzunehmen gilt?
Meiner Ansicht nach ist der Glaube an ein Schicksal oft sehr bequem, jedoch a priori sehr einschränkend. Durch den Glauben an das Schicksal zwingt sich der Mensch in eine passive, unterwürfige Haltung. Und genau diese Haltung kann oft der Grund sein, wieso eine Änderung hin zu einem positiven Wachstum nicht stattfinden kann. Im Sinne der Existentialisten und vor allem von Sartre, ist der Mensch hingegen sein eigener Schöpfer.
Sartre ist der Ansicht, dass der Mensch sich erst durch seine Handlungen erschafft. Dadurch, dass der Mensch frei ist, sich zu schaffen, trägt er jedoch automatisch die Verantwortung für seine Werke. Diese Verantwortung kann große Ängste auslösen. Ich sehe es im Sinne der Therapie, unter anderem genau diese Ängste und Zweifel anzuschauen und auszuarbeiten, damit aus Angst Sinn entstehen kann. Dieses Thema spiegelt sich in der existentiellen Psychotherapie Yaloms wieder. Er sagt, dass die Ängste und Zweifel oft nicht am Anfang des Lebens, sondern meist dann ausarten, wenn es dem Menschen bewusst wird, dass sein Leben sich dem Ende nähert. Yalom erläutert in seinem Werk “Existentielle Psychotherapie” (Yalom, 2010) die letzten Gegebenheiten der Existenz, die sogenannten “ultimate concerns”. Diese sind nach Yalom der Tod, die Freiheit, die existenzielle Isolation und die Sinnlosigkeit. Yalom sagt, dass diese Instanzen zu Konflikte im Inneren des Menschen führen können. Bei der Sinnlosigkeit liegt der Konflikt laut Yalom darin, dass sich der Mensch die eigene Welt erschaffen muss, um dann zu erfahren, dass er nach seinem Tod in einem gleichgültigen Universum landet. Trotzdem unterstreicht er immer wieder die Wichtigkeit, als Mensch den eigenen Lebensweg so gut es geht auszukosten, denn “je größer das ungelebte Leben, desto größer die Verzweiflung”. Das Schicksal kann uns jedoch mächtig davon abhalten, unser Leben positiv und wertschätzend zu leben. Wer sich dem Schicksal ausliefert, der kann meiner Ansicht nach auch nie wirklich einen eigenen Sinn für sein Leben finden, außer vielleicht durch irgendwelche religiöse Interpretationen.
Ich glaube, dass wir als Menschen viel mehr erschaffen, als wir denken. Unsere Gedanken können zum Beispiel unglaublich viel auslösen, denn auch sie sind Energien, die einem Ursache-Wirkungs-Prinzip unterliegen (z.B. siehe Studien von Dr. Joe Dispenza). In dem Sinne bin ich Schöpfer dessen, was ich erlebe und was ich bin. Dadurch kann ich mich immer wieder neu entscheiden, immer neu definieren. Auch den Sinn meines Lebens kann ich immer wieder neu festlegen. Es ist jedoch meine Entscheidung und mein Weg. Niemand außer mir kann diesen Weg gehen. Es liegt ganz bei mir.
Für die Therapie finde ich diese Gedanken von fundamentaler Bedeutung. Ein Mensch, der der Ansicht ist, seinen Leidenszustand nicht selbst verändern zu können, der wird auch sehr wenig von einer Therapie profitieren. Der Existentialismus fordert uns auf, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen und im Hier und Jetzt unsere Entscheidungen zu treffen.
Literaturverzeichnis:
Frankl, Viktor E. (1978). …trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (2. Aufl.). München: Kösel.
May, R., Angel, E., Ellenberger, H. F. (1958). Existence. A New Dimension in Psychiatry and Psychology. Seiten 3-36. Basic Books, Inc. New York 3, N.Y.
Sartre, Jean-Paul (1968). Drei Essays: Ist der Existenzialismus ein Humanismus? Materialismus und Revolution. Betrachtungen zur Judenfrage. Frankfurt am Main: Ullstein (S.145-192)
Yalom, Irvin D. (1980; übers.1989). Existentielle Psychotherapie (M. Gremmler-Fuhr &R. Fuhr, Übers.). New York: Basic Books Inc.