Persönlicher Standpunkt
2014 war ein sehr aufgabenreiches Jahr für mich. Noch während des Abiturs war ich mit der Vorbereitung eines großen Kulturfests in unserem Dorf beschäftigt. Direkt nach Abschluss der Prüfungen intensivierte sich die Probenfrequenz eines Theaterstücks, bei dem ich eine wichtige Rolle einnahm und dann starb meine Oma Elisabeth.
Der Tod war vorhersehbar, sie lag schon ein paar Wochen auf der Palliativstation im nahe gelegenen Krankenhaus und ich besuchte Sie dort oft. Trotz des starken körperlichen Verfalls, war meine Oma geradezu munter und wirkte entspannt und glücklich. Es war ein sehr intensiver Kontakt mit schönen Gesprächen und einer Dankbarkeit, diese Zeit miteinander verbringen zu können. Die meiste Zeit redeten wir nicht über den bevorstehenden Tod und es fühlte sich oft an wie ein ganz gewöhnlicher Oma-Besuch. Dann, nach einem anstrengenden Probentag, kam die Nachricht, dass Elisabeth nun gestorben war. Meine Eltern und meine Schwester waren schon dort aber ich war noch alleine zu Hause und wollte einfach nur ein bisschen entspannen. Meine Gedanken waren noch bei dem Theaterstück und bei dem morgigen Tag an dem ich wieder irgendwelche „wichtigen“ Verpflichtungen hatte. Ich hatte ja schon einen schönen Abschied mit meiner Oma gehabt, wieso sollte ich also den Aufwand auf mich nehmen zu diesem toten Körper zu fahren, wenn sie doch nicht mehr da ist? Im Nachhinein denke ich, dass ich auch Angst hatte die Trauer zuzulassen, könnte sie mich doch in dieser stressigen Zeit aus der Bahn werfen. Meine Strategie war also auf Verdrängung ausgerichtet. Und trotzdem schaffte es der Freund meiner Schwester mich zu überreden doch noch mit ihm zum Krankenhaus zu fahren, wofür ich ihm bis heute sehr dankbar bin, denn die folgende Erfahrung war für mich eine der wertvollsten meines Lebens.
Dort angekommen fiel alle Anspannung des Alltags ab. Meine Eltern und meine Schwester mit ihrem Kind begrüßten mich unter Tränen. Meine Oma lag in dem weiß gebetteten Krankenhausbett, so wie bei den vorherigen Besuchen. Ihr Körper war noch fast ein bisschen warm und sie sah sehr friedlich aus, so als würde sie tief schlafen. Und trotzdem erkannte ich im Anbetracht meiner Oma die Irreversibilität des Todes. Nie mehr wieder würde sie mir antworten können, nie mehr wieder könnten wir zusammen lachen, nie mehr wieder eine Partie Rummikub spielen, nie mehr wieder gemeinsam ein Eis essen, nie mehr wieder… Trotz der Tränen erfüllte mich vor allem das Gefühl der Dankbarkeit. Noch mehr als die Trauer über den Verlust, war ich dankbar für die vielen wunderbaren Erfahrungen und die wertvolle Zeit, die ich mit ihr verbringen durfte. Mein Vater fing an ein paar Lieder zu singen und wir alle setzten ein. Der Geist meiner Oma war stark zu spüren. Es wurde ein ruhiger und friedlicher Abschied. Nach meinem erinnerten Gefühl, bestärkte mich das gemeinsame Singen sehr. Es gab mir die Ruhe und Eingebundenheit in die Familie. Trostspendend war auch das neue Leben meines Neffen, der erst vor neun Monaten geboren worden war. Es gab die Gewissheit über den Fortbestand des Lebens in uns als Familie.
Dieses Erlebnis prägte meinen Standpunkt zum Thema Tod stark. Schon in der Erzählung wird meine Einstellung sichtbar; ich möchte Sie nun aber noch einmal zusammenfassen.
Sobald es fest steht, dass ein Leben nicht mehr gerettet werden kann und der Tod zeitlich absehbar wird, beginnt aus meiner Sicht das Sterben. Es bedeutet für mich Abschied zu nehmen und die letzten gemeinsamen Erfahrungen zu machen. Ich spüre dabei Liebe, Ruhe und Relevanz. Die alltäglichen Sorgen und Pflichten werden unbedeutend und nur noch das Miteinander und das Zwischenmenschliche zählt. Der Tod wird im besten Fall hingenommen und der Kampf ums Überleben hat ein Ende. Ein Friede darf einkehren beim Sterbenden und bei den Angehörigen.
Der Tod als festgelegter Zeitpunkt ist jener, an dem es wichtig wird loslassen zu können. Die Irreversibilität des Todes lässt uns, meiner Meinung nach, nur eine Möglichkeit um positiv mit dem Geschehen umgehen zu können. Es ist die Dankbarkeit. Der Spruch „Leuchtende Tage- Nicht weinen, da sie vergangen sind, sondern lächeln, da sie gewesen sind.“ steht für mich als Leitspruch über dem Thema Tod. Wir dürfen dankbar sein für die Erfahrungen die uns der oder die Verstorbene gebracht hat und können uns freuen, dass er oder sie in uns weiter besteht, sei es durch Gene, Erinnerungen oder Ideen.
Philosophischer Ansatz
Laut Heidegger (2006) endet das Dasein mit dem Tod. Da wir um unser eigenes Sterben wissen, ist der Tod für uns allgegenwärtig. Im Tod von anderen, der während „unserer“ Zeit geschieht, werden wir darauf immer wieder aufmerksam gemacht. Den eigenen Tod bezeichnet er als Ereignis am Ende der Zeit und proklamiert somit unser Sein als Sein zum Tode. Nach meinen eigenen Erfahrungen können wir als Lebende von der Auseinandersetzung mit dem Tod stark profitieren. Auch wenn für viele der eigene Tod zunächst Angst hervorruft, kann die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit zu einer neuen Ausrichtung des Lebens führen. Die Gegenwart wird unter Umständen mehr geschätzt und Entscheidungen eher nach internalen Überzeugungen getroffen. Die Verdrängung des Themas „Tod“ ist, wenn überhaupt, nur vorübergehend möglich, denn es wird uns alle früher oder später betreffen. Nach Yalom ist es die Aufgabe „des Therapeuten […], die Verdrängung wieder rückgängig zu machen und das Individuum mit etwas vertraut zu machen, was er/sie schon immer gewusst hat.“ (Yalom, 2010, S.29) Ob Heidegger ähnliche praxisrelevante Schlüsse gezogen hat, ist mir jedoch nicht bekannt.
Psychologischer Ansatz
Die Terror Management Theory (Solomon, Greenberg, & Pyszczynski, 2004) ist eine interessante Erklärung für meinen oben beschriebenen Umgang mit dem Thema Tod. Die Einbindung in die Familie und das gemeinsame Singen sind kulturelle Akte, die die Angst vor dem Tod mindern und den Fokus auf den Fortbestand des Lebens in der Kultur und in anderen legen. Sie passt somit sehr gut zu meinen eigenen Erfahrungen. Ein weiterer psychologischer Ansatz zum Thema Todesangst, stammt von (Yalom, 2010a), der behauptet, dass existentielle Ängste wie die Todesangst, Freiheit, Isolation und Sinnfragen, das primäre Thema jeder Psychotherapie sind. Als Grundlage jeder Störung vermutet Yalom eine unangepasste Coping Strategie um den Existentiellen Ängsten zu entfliehen.
Anwendung in der psychologischen Praxis
Wie auch im oben genannten Zitat von Yalom, bin ich der Meinung, dass die Konfrontation mit dem Tod wichtig ist und positive Auswirkungen haben kann. Für mich bedeutet das derzeit noch die Betonung der Wichtigkeit des Todes von Angehörigen im persönlichen Umfeld. Beim Tod meiner zweiten Oma nahm ich mir viel Zeit um Abschied zu nehmen und auch Freunden empfehle ich immer, wenn das Thema aufkommt, das gleiche zu tun. Keine Alltagssorgen können wichtiger sein, denn es geht ja im wahrsten Sinne des Wortes „um Leben und Tod“.
References
Heidegger, M. (2006). Sein und Zeit (neunzehnte Auflage, unveränderter Nachdruck der fünfzehnten, an Hand der Gesamtausgabe durchgesehenen Auflage mit den Randbemerkungen aus dem Handexemplar des Autors im Anhang). Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Solomon, S., Greenberg, J., & Pyszczynski, T. (2004). The cultural animal. Handbook of Experimental Existential Psychology, 13–34.
Yalom, I. D. (2010a). Die Liebe und ihr Henker & andere Geschichten aus der Psychotherapie (Genehmigte Taschenbuchausg., 12. Aufl.). btb: Vol. 72378. München: btb-Verlag.
Yalom, I. D. (2010b). Existenzielle Psychotherapie. Bergisch Gladbach: EHP – Verlag Andreas Kohlhage.