Britt, T. W., Sytine, A., Brady, A., Wilkes, R., Pittman, R., Jennings, K., & Goguen, K. (2017). Enhancing the meaningfulness of work for astronauts on long duration space exploration missions. Aerospace Medicine and Human Performance, 88(8), 779-783.
Sinnerfüllung im Weltraum
Die erste Frage, welche einem in den Sinn kommt, wenn Begriffe wie „Marsmission“ fallen oder von der Erkundung und Entdeckung neuer, weit entfernter Welten gesprochen wird, ist die nach der technologischen Machbarkeit solcher Weltraummissionen. Allerdings gehen mit den vielen technischen Hürden auch immense Herausforderungen für die einzelnen, an solch einer Mission beteiligten, Astronauten und Astronautinnen einher. Unabhängig von den physischen Anforderungen, welche im Rahmen so einer Mission erfahren werden, legt die Forschungsabteilung der NASA einen verstärkten Fokus auf die psychischen Belastungsfaktoren, welche diese ambitionierten Vorhaben begleiten. Im vorliegenden Artikel, welcher von der NASA 2016 publiziert worden ist, widmen sich W. T. Britt und Kolleginnen der Frage danach, inwiefern die Wahrnehmung von beruflicher Sinnerfüllung dabei helfen kann, diesen individuellen Herausforderungen entgegenzuwirken. Ein ehemaliger Astronaut sagte in diesem Zusammenhang: „The single most important psychological factor on a long-duration flight is to be meaningfully busy. And if you are, a lot of other things sort of take care of themselves.” (N. E. Thagard, 2014).
Das Ziel dieser Untersuchung war es, zum einen den Erfolg einer solchen Mission zu gewährleisten, als auch das psychische Wohlergehen der AstronautInnen zu fördern. Zu den psychischen Belastungsfaktoren, welche während dieser Langzeit-Raumflüge erfahren werden können, gehören eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte. Neben lebensbedrohlichen Situationen, welche erlebt werden können, und einem sehr beengten Lebensraum, kommt es auch zu einem starken Mangel an Privatsphäre und interpersonellen Konflikten an Bord, sowie einer zeitlich andauernden Trennung von der eigenen Familie und Freunden. Zusätzlich wird davon ausgegangen, dass es auf diesen Langzeit-Missionen gehäuft zu Langeweile und Monotonie kommen kann, was wiederum nicht nur das psychische Wohlbefinden der AstronautInnen gefährdet, sondern auch deren Leistungspotenzial auf negative Art und Weise beeinflusst. Bisherige Forschung legt nah, dass das Erleben von beruflicher Sinnerfüllung all diesen unterschiedlichen individuellen Anforderungen entgegenwirken kann.
Der vorliegende Artikel besteht insofern aus zwei unterschiedlichen Teilen. Beginnen tut er mit der Aufarbeitung von bisheriger Forschung zu dem Thema sinnerfüllender Arbeit in spezifischen Erfahrungsräumen. Im Anschluss werden verschiedene Interviews ausgewertet um zu erkennen, welche Faktoren am meisten Einfluss auf das Wohlbefinden der Astronauten und Astronautinnen haben. Des Weiteren wird untersucht, welche Möglichkeiten es gibt, die wahrgenommene Sinnerfüllung in der Arbeit trotz der extremen Bedingungen zu fördern und den Phänomenen der Langeweile und der Monotonie vorzubeugen.
Woher kommt die Motivation der AstronautInnen?
Die AutorInnen mussten zu Beginn bestimmen, was der eigentliche Ursprung der Motivation der AstronautInnen für eine solche Mission ist und wie diese Motivation für einen so langen Zeitraum aufrechterhalten werden kann. Es wird davon ausgegangen, dass es an erster Stelle die intrinsische Motivation ist, welche sie zur Teilnahme an einer solchen Mission veranlasst. So ist ein Ursprung dieser die Befriedigung, die durch die herausfordernde Arbeit an sich erfahren wird und die Wertschätzung, die einem dafür entgegenkommt. Ein weiterer Grund für diese ist die Wahrnehmung dessen, dass die getane Arbeit auch für andere Menschen bedeutsam ist und sie insofern zu einem größeren Ganzen beiträgt. Zu guter Letzt spielt auch die Beziehung zu den Kollegen eine wichtige Rolle. Das Erfahren und Fördern eines Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühls während einer solchen Mission ist existenziell für das Erleben von sinnerfüllender Arbeit. Außerdem wissen wir aus bisheriger Forschung, dass auch die Art und Weise, wie wir arbeiten und wie wir unsere Arbeit im Nachhinein bewerten, einen direkten Einfluss darauf hat, ob wir unsere Arbeit als sinnerfüllt wahrnehmen.
Kleine Überraschungen und mehr Humor
Die neun Interviewpartner setzten sich zum einen aus ehemaligen AstronautInnen zusammen, zum anderen aus weiteren MitarbeiterInnen der NASA, welche direkt an der Vorbereitung und Ausführung der Missionen beteiligt sind, sowie einem Antarktisforscher. Zu Beginn ging es um die Frage, was genau bei den einzelnen Personen am stärksten zur Sinnerfüllung ihrer Arbeit beiträgt. Für die meisten der Befragten war der Beitrag, welchen sie mit ihrer Arbeit für die Menschheit im Allgemeinen leisteten und zudem ein Verständnis dessen, inwiefern ihre Arbeit zur gesamten Mission beiträgt, am wichtigsten. Auch das Lösen von besonders schwierigen Aufgaben und das Einsetzten ihrer individuellen Fähigkeiten fördere ihr persönliches Sinnerleben auf positive Art. Wenn es um die Eigenschaften der zu erledigenden Arbeit ging, entgegneten die Interviewpartner, dass die Variation der Aufgaben und der für sie benötigten Fähigkeiten besonders hilfreich dabei wäre, Monotonie und Langeweile entgegenzuwirken. Ebenso bedeutend sei das Wahrnehmen von Autonomie und Flexibilität hinsichtlich des Lösens der Aufgaben und der persönlichen Zeiteinteilung.
In Bezug darauf, welche Vorkommnisse das Wahrnehmen des Sinns der Arbeit am meisten erschwerten, bezogen sich die meisten Befragten auf Kommunikationsschwierigkeiten mit der Zentrale. So empfanden sie es z.B. als sehr einschränkend, wenn ihnen nicht erklärt wurde, was der Grund für eine bestimme Aufgabe sei oder inwiefern diese mit der Mission zusammenhängt. Auch das Ausbleiben von angemessenem und angebrachtem Feedback wurde von den Interviewten bemängelt. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass sobald die Aufgabenvariation nachließ und Monotonie vermehrt in den Vordergrund rückte, vermehrt die Frage danach aufkam, ob diese monotone Arbeit die lange Trennung von der Familie noch rechtfertigen kann.
Auch die Frage danach, wie das Aufkommen von Monotonie und Langeweile erkannt werden könnte, wurde in den Interviews behandelt. Diesbezüglich wurden mehrere Erkennungsmerkmale dieser Phänomene herausgearbeitet, so zum Beispiel das Fernbleiben von sozialen Aktivitäten der Crew oder eine Veränderung des Schlafrhythmus, sowie ein Nachlassen der persönlichen Leistung und eine Veränderung der Stimmlage – dies scheint insofern besonders bedeutend, da diese Veränderung der Stimme mit technischen Mitteln erkennbar wäre und somit eine direkte Intervention ermöglichen könnte.
Zu guter Letzt wurden unterschiedliche Möglichkeiten und Interventionen besprochen, welche den AstronautInnen dabei helfen können, ihre Arbeit verstärkt als sinnerfüllend anzusehen und ihr psychisches Wohlbefinden zu unterstützen. Eine besonders hervorstechende Empfehlung war das Ermöglichen der Verwendung von real time social media für die AstronautInnen. Auf diesem Weg können sie eigene Erkenntnisse und die Ergebnisse ihrer Forschung direkt mit anderen Menschen und ihren Freunden teilen, was wiederum dabei helfen würde den Einfluss, welchen ihre Arbeit auf die restliche Gesellschaft hat, besonders hervorzuheben. Zusätzlich wurde betont, dass es wichtig wäre bessere Kommunikationswege zwischen den AstronautInnen und ihren Familien zu kreieren, zum Beispiel anhand von virtuellen Realitäten. Es gab auch Vorschläge, welche dazu dienen sollten den Alltag der AstronautInnen etwas bunter zu gestalten: „Groundcontrol could also build humor and jokes into certain tasks, such as putting funny duties on a checklist. A flight director also shared their morning ritual of making a comic that reflected parts of the mission. They could also leave surprises embedded within the equipment, such as Eastereggs in the air filters, to help make things less predictable“ (Britt et. al, 2016, S. 40). Auch, dass die Möglichkeit freistehen sollte, sich während der Mission persönlich weiterzubilden, eigene Experimente durchzuführen und mit anderen Crewmitgliedern während längerer Transitphasen Wissen austauschen zu können, ist mehrfach ausgedrückt worden.
Wieso denn nur im Weltraum?
Im Allgemeinen sollte man die Aussagen dieser Untersuchung nicht nur auf ihre Wichtigkeit für das Gelingen einer erfolgreichen Weltraummission beziehen, sondern auch auf die Bedeutung, welche die Ergebnisse für das Aufrechterhalten des psychischen Wohlbefindens der AstronautInnen haben. Die Ergebnisse dieser tiefgehenden Literaturrecherche und der gesammelten qualitativen Interviews lassen sich zudem nicht nur auf das Arbeitsumfeld des Weltraums beziehen, sondern auch auf vielerlei andere Berufe. So könnte die Ergebnisse auch dabei helfen Arbeitsbedingungen von Menschen zu verbessern, welche aufgrund ihres Berufs häufig über längere Zeit von ihrer Familie getrennt sind oder welche in besonders belastenden und isolierenden Berufsfeldern tätig sind, sowie Arbeitern auf Bohrinseln oder allgemein Saisonarbeitern. Denn die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass sich regelmäßiger Kontakt mit der Familie sowie Autonomie beim Erledigen der Arbeit und Wissen über die Bedeutsamkeit der eigenen Arbeit nicht nur auf das Wohlbefinden der ArbeiterInnen auswirkt, sondern ebenso auf die Konstanz ihrer Leistung.
Zusammengefasst von Frederik Jetter