Wer Angst vor dem Tod hat, hat auch Angst vor Corona: Eine Studie zur existenziellen Dimension der Pandemie


Spitzenstätter, D. & Schnell, T. (2020). The existential dimension of the pandemic: Death attitudes, personal worldview, and coronavirus anxiety. Death Studies. DOI:10.1080/07481187.2020.1848944

Seit dem weltweiten Ausbruch des SARS-CoV-2-Virus ist die Konfrontation mit Todeszahlen in den Medien alltäglich geworden. Dadurch wird auch die eigene Sterblichkeit sichtbarer – eine Dimension der Pandemie, die in der bisherigen Forschung kaum Beachtung fand. Die hier vorgestellte Studie zielte darauf ab diese Lücke zu schließen, indem sie untersuchte, in welcher Beziehung die Angst vor Corona zu Einstellungen zum Tod und zur persönlichen Weltanschauung steht.

Insgesamt 202 Personen mit vorwiegend österreichischer, deutscher oder italienischer Herkunft wurden zu diesem Zweck im Zeitraum zwischen Mai und Juni 2020 befragt. Die persönliche Weltanschauung umfasste dabei die Dimensionen Religiosität und Spiritualität sowie die beiden säkularen Anschauungen Atheismus und Agnostizismus.

In der Studie wurden Weltanschauungen folgendermaßen gegliedert und definiert:

Religiosität bezieht sich auf ein religiöses Leben und eine persönliche Beziehung zu Gott.

Spiritualität umfasst einen subjektiven Zugang und eine Haltung der Suche und Offenheit gegenüber einer höheren Realität.

Atheismus bezieht sich auf die Ablehnung des Glaubens an einen Gott oder eine höhere Wirklichkeit. Er ist tendenziell mit einer negativen Beziehung zu Religion und mit einer positiven Beziehung zu Wissenschaft und Technik verbunden.

Agnostizismus drückt die Annahme oder die Überzeugung aus, dass man nicht wissen kann, ob ein Gott oder eine höhere Macht existiert.

Um die Angst vor dem Coronavirus zu erheben, wurde die englische Coronavirus Anxiety Scale ins Deutsche übersetzt. Diese Skala erhebt körperliche Angstsymptome, wie z.B. Schwindel, Übelkeit, Schlafstörungen oder Appetitverlust, die in den vergangenen zwei Wochen durch Informationen oder Gedanken zum Coronavirus ausgelöst wurden. Die Angst vor dem Coronavirus wurde in dieser Studie somit als ein Maß für psychisches Wohlbefinden verstanden.

Die Ergebnisse zeigten zum einen, dass Frauen von mehr Angst vor dem Virus berichteten als Männer. Da dieser Zusammenhang durch Studien in anderen Ländern nur teilweise bestätigt werden konnte, sollte er jedoch noch weiter erforscht werden. Das Alter, der Bildungsgrad, die Nationalität und der Beziehungsstatus schienen in dieser Studie keine ausschlaggebenden Einflussfaktoren auf Angst vor Corona zu sein.

Entgegen der Erwartungen der Autor*innen hingen die vier Weltanschauungsdimensionen nicht mit dem Erleben von Angst vor dem Coronavirus zusammen. Es zeigte sich lediglich, dass die Mitgliedschaft in einer religiösen Gemeinschaft (z.B. katholische Kirche) mit höheren Angstwerten einherging. Ein Erklärungsversuch dafür könnte sein, dass die Einschränkung von Gottesdiensten dazu geführt hat, dass die Krise für Mitglieder der Kirche präsenter war. Diese erhöhte Präsenz der Krise wiederum könnte das Angsterleben gesteigert und damit die psychische Gesundheit negativ beeinflusst haben.

Hinsichtlich der Beziehung zwischen der Angst vor dem Coronavirus und Einstellungen zum Tod ließen sich Zusammenhänge nachweisen. Menschen, die mehr Angst vor dem Tod hatten und dem Thema Tod generell eher aus dem Weg zu gehen versuchten, berichteten auch mehr Angst vor dem Coronavirus. Gleichzeitig gaben Menschen, die den Tod als natürlichen, integralen Bestandteil des Lebens ansahen (in der Psychologie als „neutrale Akzeptanz des Todes“ bezeichnet), geringere Werte auf der Coronavirus-Angst-Skala an. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Arbeit an einer akzeptierenden Haltung gegenüber dem Tod dazu beitragen kann, psychische Belastung im Zuge der Pandemie abzupuffern.

Neben der Untersuchung von Angst vor Corona wurden die Daten auch genutzt, um Zusammenhänge zwischen Einstellungen zum Tod und der persönlichen Weltanschauung allgemein zu untersuchen. Um den Zusammenhang zu veranschaulichen, hilft es sich religiöse Überzeugung auf einer Geraden vorzustellen. Am einem Ende stehen überzeugte Ablehner*innen von Religion (also Atheist*innen) und am anderen Ende überzeugte Anhänger*innen einer Religion. Dazwischen sind Menschen, die Religion weder überzeugt ablehnen, noch überzeugt gläubig sind. Die Studie ergab, dass Menschen, die sich an einem dieser beiden Pole befanden, von geringerer Angst vor dem Tod berichteten als diejenigen, die nur durchschnittlich religiös waren – der Zusammenhang hat also die Form eines „umgedrehten U´s“. Dazu passt auch, dass  Agnostiker*innen von mehr Todesangst berichteten als Atheist*innen oder überzeugte Gläubige. Demgegenüber ließ sich für Spiritualität keinerlei Zusammenhang zur Angst vor dem Tod nachweisen. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass „Spiritualität“ ein sehr breiter Begriff ist, unter den ganz unterschiedliche Auffassungen fallen können.

Abschließend sollen noch kurz Einschränkungen der Studie erläutert werden. Zum einen wurden nur relativ junge Menschen (Durchschnittsalter 26 Jahre) mit hohen Bildungsabschlüssen, deutschsprachiger Herkunft und wenn, dann fast ausschließlich christlicher Religionsangehörigkeit befragt. Es lassen sich also keine Aussagen über Menschen anderer Altersgruppen oder sozialer, kultureller und religiöser Hintergründe machen. Zudem sind die Ergebnisse auf den Zeitpunkt der Datenerhebung beschränkt. Es war die Zeit nach dem ersten Gipfel der COVID-19-Infektionen in Österreich und Deutschland. Verschiedene behördliche Maßnahmen, die auf die Regulation der Infektionszahlen abzielten, waren bereits gelockert oder aufgehoben. Keine*r der Proband*innen war zu dem Zeitpunkt bereits positiv getestet. 22% berichteten davon, dass eine nahestehende Person positiv getestet wurde und zwei Teilnehmer*innen hatten einen Todesfall von nahestehenden Personen zu beklagen. Dieser Kontext schlug sich in den Zahlen der Studie nieder: Die erlebte Angst vor Corona war bei den Teilnehmer*innen im Durchschnitt sehr niedrig ausgeprägt.

Zusammenfassend konnte die Studie keinen Zusammenhang zwischen persönlicher Weltanschauung und Angst vor dem Coronavirus feststellen. Es zeigte sich jedoch, dass Menschen, die mehr Angst vor dem Tod hatten, auch in der Konfrontation mit dem Coronavirus mehr körperliche Angstsymptome erlebten. Maßnahmen, die zur Verringerung von Angst vor dem Tod führen, könnten also dazu beitragen, die psychische Belastung in Krisenzeiten abzupuffern.

Zusammengefasst von Dorith Nopper

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